Donnerstag, 8. Juni 2023

Lesungen von Gabriel Wolkenfeld und Anselm Retzlaff

 

 

Die beiden Hanns-Meinke-Lyrikpreisträger Gabriel Wolkenfeld (2021) und 
Anselm Retzlaff (2020) lesen am 8.6. bzw. 10. und 11. Juni 23.
 

Das Plakat zur Lesung mit Gabriel Wolkenfeld:


...Anselm Retzlaff beim Literaturfest in Meissen, siehe link: Literaturfest Meissen

 
10.06.2023 um 17 Uhr in der Burgstraße 1
11.06.2023 um 15 Uhr in der Freiheit 1

Anselm Retzlaff (re.) bei einem früheren Festival


Samstag, 3. Juni 2023

Hanns-Meinke-Preis 2023: Şafak Sarıçiçek

 

Im Rahmen einer Lesung des Verlags der 9 Reiche wurde der neue Preitsträger verkündet. Die neunköpfige Jury aus Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern entschied für  

Şafak Sarıçiçek

 


Dankesrede zum Hanns-Meinke-Preis 2023:
von Şafak Sarıçiçek am 03.06.2023

 
 
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Jurorinnen und Juroren,
sehr geehrte Lesende des heutigen Abends, wertes Publikum
 
in seinem 1910 erschienenen Werk „Masken des Marsyas“ kündet Hanns Meinke unter anderem die folgenden Verse im Eingangsgedicht ,,Marsyas“:
 
,,(...)
Die Götterfaust wollt diesen mund verspunden
Der süsser sang dass nur noch wimmern gelle
Aus weher kehle, aber es schwillt helle
Neutönend noch aus spätester dichter munden.
(...)"
 
Wer aber ist der so besungene Marsyas nun ?
 
Dieser Satyr, halbgöttlicher Begleiter der rasenden und trommelschlagenden Kybele findet Athenes weggeworfene Doppelflöte Aulos. Er erlernt das Spiel und von den eigenen Fertigkeiten derart überzeugt, fordert er Apollon zum Wettbewerb heraus. Zunächst befinden die Musen den Marsyas für überlegen, küren aber letztlich Apollon zum Sieger, nachdem dieser zu seinem Kithara-Spiel seinen Gesang hinzufügt. Zur Strafe für Marsyas Hybris hängt Apollon ihn auf und häutet ihn. Aus dem Blut des Marsyas entspringt sodann der gleichnamige Fluss.
 
Ich lese mithin in Hanns Meinkes Versen einen Auftrag der die Generationen überspannt. Er sieht in dem wetteifernden Dichter Marsyas, mit seinem Werk sich stolz über die Endlichkeit zu erheben versuchend, einen mutigen Tatendrang, eine ehrenwerte Aufgabe, nämlich Dichtung, welche weitergegeben wird und so nicht stirbt, weil jede Generation sich ihrer neu annimmt. Die Häutung des Marsyas ist letztlich die Verwirklichung der Gabe, die durch Schmerzen sich dem hedonistischen, rasenden, bloß intuitivem Prinzip entsagt, sich vergeistigt, kanalisiert, reift.
 
In der Verfügung, dass die Jury des Hanns-Meinke-Preises mir den diesjährigen Preis zuteil werden ließ, sehe ich die Bestärkung für den bisher gegangenen Reifungsprozess meiner Dichtung. Ich nehme ihn zugleich als Auftrag, mit Hanns Meinkes Worten, um den ,,süßen sang“ nunmehr ,,Neutönend“ als ,,später dichter munden“ zu lassen.
Lyrik ist meines Erachtens, bei einer modernen Betrachtung von Meinkes Versen, nebst der offenkundigen ökonomischen Lage, der sie unterliegt, zwei großen realen Gefahren ausgesetzt:
 
Einerseits droht sie noch mehr zur Nische zu werden, Lyrikregale nehmen kaum Platz ein im Buchhandel, besprochen und ausgezeichnet wird eine kaum repräsentative Minderheit. Der besprochene und ausgezeichnete Duktus ist zunehmend homogen, was sicher auch an der Rezeption postmoderner Schreibtechniken durch die Akademien bedingt ist. Gleichzeitig wird aber überall gedichtet: Es besteht eine unfassbare, tolle Bandbreite an Dichtung und Energie, welche jedoch, wie man so schön sagt, Underground bleibt, da im Feuilleton kaum beachtet.
 
Andererseits droht sie trivial zu werden. Dies hängt einerseits mit diesem ersten Punkt zusammen, nämlich mit einer lediglich auf diffuse Subjektivität abstellenden poetischen Methode. Andererseits damit, dass das Prinzip der Show, Performanz, das Schauspiel, die performative Identität in den Vordergrund tritt und der Inhalt, die Substanz in den Hintergrund.
 
Die Kunst wird für ,,unsere“ poetische Generation sein, um mit Hanns Meinke zu gehen, sich nicht allein mit vorübergehenden Modeerscheinungen zu begnügen, sondern die Vielfalt der Lyrik unterstützend, vor allem ihre Qualität mit Mitteln der heutigen Massenmedien zu kombinieren. Hanns Meinke war wandelbar, rezipierte vom Charonkreis, vom Georgekreis, von Sufilehren, vom Pantheismus, nur um einige seiner Einflüsse zu nennen, ging aber letztlich stets seinen eigenen, gedankenvollen Weg, sich nicht vereinnahmen lassend.
Auch das ist nach meinem Dafürhalten Aufgabe der nach Meinke ,,neutönenden späten“ Dichter, Tradition und Moderne zueinander finden lassen zu können, gesellschaftlich relevant zu bleiben, moderne Mittel zu nutzen, alles was zur Vielfalt der Lyrik beiträgt zu unterstützen. Das erfordert aber zeitgleich auch auf Entwicklungen hinzudeuten, welche die einseitige Rezeption und Aufmerksamkeitsökonomie begünstigen könnten.
 
Auch auf diesem Weg fühle ich mich auch durch den Erhalt des Hanns-Meinke-Preises unterstützt.
 
An allererster Stelle aber ist es für mich eine Ermutigung, dass mir eine Vergeistigung gelungen ist. Oder um mit T.S. Eliot zu gehen, eine Entpersonalisierung der Verse gelungen sein könnte, eine Bereinigung und Reduktion, wie die Häutung des Marsyas, trotz stetigen Hinterfragens und hoffentlich produktiver Zweifel.
 
Daher:
Dankeschön für ihre Beurteilung, sehr geehrte Jury, danke für den wertvollen Zuspruch.
 
Şafak Sarıçiçek (Foto: H. Ramlow)