Eine Rezension zum 2024er Hanns-Meinke-Preisträger Patrick Schild von Matthias Schramm beim Signaturen-Magazin:
link: Signaturen-Magazin: Patrick Schild: Atemopale
Matthias Schramm:
Patrick Schild: Atemopale. Gedichte. Berlin (Verlag der 9 Reiche) 2024. 32 Seiten. 9,00 Euro. ISBN 978-3-948999-29-2
Zum Lyrik-Debüt von Patrick Schild
Patrick
Schild, geboren 1994 in Daun / Eifel, hat sich in den letzten Jahren
als eine Stimme der jungen deutschsprachigen Lyrik etabliert. Seine
Gedichte erschienen zunächst in verschiedenen Anthologien und
renommierten Literaturzeitschriften, es folgte 2021 der Förderpreis der
Gruppe 48, anschließend wurde ihm 2022 der Klopstock-Preis für junge
Lyrik verliehen. 2024 folgte mit dem Hanns-Meinke-Preis eine weitere
Auszeichnung, die den Verlag der 9 Reiche veranlasste, seinen Debütband Atemopale
in der Reihe der Lyrik-Edition NEUN zu veröffentlichen. Ende 2024
gewann er den 1. Preis für Lyrik beim Land-schreiberwettbewerb.
Schilds Debütband Atemopale
entfaltet sich in behutsamen, aber auch radikalen Bewegungen, deren
Wirkung aus dem Kontrast zwischen einer beinahe unerträglichen inneren
Intensität und einer formalen Zurückhaltung entsteht.
Die
in der Reihe der Lyrik-Edition NEUN erschienene Sammlung von Schild,
herausgegeben von Steffen Marciniak, offenbart eine Sprache, die von
Brüchen geprägt ist, die nicht lediglich ästhetisches Beiwerk sind,
sondern vielmehr Ausdruck einer tiefen existenziellen Unruhe, welche den
Leser behutsam, doch unnachgiebig in ein Territorium der
Verletzlichkeit führt.

Ein für mich nettes Detail findet sich im Gedicht „[maskulin]“, in welchem das lyrische Ich als „wort-gerinnsel“
beschrieben wird. Dieses scheinbar beiläufige Bild offenbart sich bei
genauer Betrachtung als Metapher für die Stockungen und Verknotungen im
kreativen Prozess des Schreibens selbst – ein Prozess, der ebenso
körperlich wie geistig empfunden wird; aber auch in der Zerstreuung und
in der Emphase des Duktus wiederzufinden ist.
Einer der markantesten Zyklen dieses Bandes, Narbenkartographie,
etabliert bereits früh eine Grund-haltung des Lyrischen Ichs, die sich durch ein
permanentes Changieren zwischen dem Körperlichen und dem Transzendenten, dem
schmerzhaft Individuellen und dem Universellen auszeichnet. In „[wir]“ etwa
spricht Schild von einer „mit leere angereicherten form eines bildes“,
die gleichzeitig eine zärtliche und altersschwache Vergänglich-keit beschwört,
und dabei deutlich macht, wie körperliche Fragilität und seelische Präsenz
ineinander übergehen. Im Gedicht „[emblematisch]“ wird die Verbindung von
physischer Verletzung und psychischer Erfahrung ebenfalls deutlich, wenn das
lyrische Ich „ein knoten [...] vom blühen“ ist, „ein blutender wald“,
womit die enge Verzahnung von Körper und Seele metaphorisch eindringlich
hervorgehoben wird. Schilds Verse erscheinen somit als tastende Versuche,
Identität durch Wunden und Vernarbungen zu lokalisieren und zeigen
eindrücklich, wie stark die physische Präsenz und ihre Versehrtheit an die
Seele gebunden sind.
Diese metaphorische nahezu religiöse Loslösung wird
weitergeführt durch die Referenz zur „narziss-haus-schnecke“, „die
„sich in sich selber antrifft“ – ein subtiles Bild für das Verschlossensein
in sich selbst, für eine Rückkehr ins Innerste, die in ihrer Radikalität
tödliche Züge annehmen kann. Schilds Sprache erzeugt hier bewusst eine fragile
Balance zwischen Schönheit und Schrecken, zwischen sanfter Berührung und
bitterer Konsequenz. Das „phonische zittern“ der „feiner, feinster
fasern“ sowie die „leis erzitternden blumen“ evozieren eine zugleich
intime und letztendlich beunruhigende Atmosphäre, die sich in der finalen,
flüchtigen Geste auflöst: „schreiben wir unsere flüchtigen namen ins
dunkelnde herz“ – ein Akt der Selbstauflösung, der auch als Selbstabschied
gelesen werden kann, eine Art selbstzerstörerische Poesie.
Doch Schilds Lyrik erschöpft sich keineswegs in der
Düsternis möglicher Interpretationen. Sie entfaltet vielmehr eine
bemerkenswerte Fähigkeit, den Leser in einer Zwischenwelt zu verorten, in der
Sinnlichkeit und Vergeistigung, die brutale Wirklichkeit des Körperlichen und
die Zerbrechlichkeit des Geistes in ständiger Spannung stehen. Dies zeigt sich
auch in anderen Gedichten des Bandes wie „[maskulin]“ oder „[fröstelnd]“, in
denen das Motiv der Verletzlichkeit und der fragmentierten Identität erneut in
schmerzhafter Klarheit hervortritt. Für mich auffällig ist die Technik, die
Schild hier beweist. Er greift in seinem Sprachfluss wohl eher unbewusst auf
erweiterte Reimregeln zurück; verlässt das Metrum, lässt es aber frei fließen,
in seinem ganz eigenen Ton.
Kennzeichnend für Schilds Gedichte ist eine radikale
Reduktion von Satzzeichen und die Verwendung von Einrückungen, die sich –
gerade im ersten Zyklus – dem klassischen Sonett annähern. Die Gedichte wirken
wie ein kontinuierlicher Atemzug, manchmal stockend, zuweilen beschleunigend,
ganz als wollten sie die Erfahrung des Atmens in Sprache übersetzen. So
entstehen Texte, die als körperliches Erleben wirken und eine verlangsamte,
bewusstere Lesart erzwingen. Die Verse schaffen eine Textur, die körperlich erfahrbar
wird, vergleichbar mit einem atmenden Organismus.
Die Verbindung von Atem und Opal deutet auf einen
Kernaspekt: den Versuch, eine Sprache für das kaum Sagbare zu finden. Schild
nutzt Erinnerungsfragmente und Schweigezonen, um seine Gedichte zu
konstruieren, wodurch eine Spannung entsteht, die zwischen Präsenz und
Abwesenheit pendelt.
Im ersten Teil des Bandes dominieren Fragmente und eine
grammatische Auflösung, die ein ungefiltertes Bewusstseinsfeld erzeugen. Das
Gedicht „[anhaften]“ ist dafür beispielhaft:
„ein gewebe aus luftein mandalaein entwurf aus wenigen strichenwie die bewegten u. noch grünen flanken der hügel —als wir — zornige kinder — dem leben anhafteten“
Neben der offensichtlichen Lesart einer kindlichen Wut und
existentieller Anspannung öffnet der Text subtil auch eine Lesart, die sich mit
dem Thema Suizid auseinandersetzt. Die Metapher des Mandalas, das traditionell
für Ganzheit und Heilung steht, wirkt hier ironisch gebrochen: Wenige Striche,
ein kaum sichtbares Gewebe aus Luft – es könnte ein Hinweis auf die dünne
Trennlinie zwischen Lebenswillen und Selbstaufgabe sein. Zunächst wirkt
die Bildsprache eben wie ein Mandala, doch entfaltet sich beim tieferen Lesen
eine Reflexion über Suizid. Schild spricht von einer „kurzen, schmerzlosen
lösung des kummers“ und einer Existenz, die „zuinnerst gelöst u. frei
schwebend“ ist, eine Metapher für den Wunsch nach Erlösung vom Schmerz. Die
Balance zwischen Schönheit und Schrecken entfaltet eine intime und verstörende
Wirkung, etwa in Gedichten im Zyklus Ruinenengel wie „Vater“:
„Der Keller des Hauses ist wachund schleicht sich langsam auf Zehenspitzendie knarrende Treppe hinauf.Die knarrende Treppe der Biographiean deren Ende das Zimmer der Erinnerung liegt.“
Schild beschreibt familiäre
Traumata, die subtil, jedoch erschütternd wirken, wie etwa die „erschrockene
Fledermaus“, die „in eine Nische floh“ oder die Bedrohlichkeit des
Vaters, dessen Präsenz bedrückend gezeichnet ist. Gleichzeitig eröffnet Schild
grundlegende Reflexionen über das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit.
Der kindliche Zorn kann ebenso als Ausdruck eines
tieferliegenden Identitätsschmerzes interpretiert werden, einer existenziellen
Unsicherheit, die das Ich zwischen Lebensdrang und Verzweiflung pendeln lässt.
Schild spielt hier klug mit philosophischen Fragestellungen zur Existenz und
Identität, ohne jemals ins bloße Gedankenspiel zu verfallen.
Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit einer
dysfunktionalen Familienstruktur, deren Wunden in Gedichten wie „Engel“
offenliegen. Das lyrische Ich beschreibt etwa, wie „die Seele wie eine
erschrockene Fledermaus in eine Nische floh“ – eine Metapher, die das
Verschwinden des Selbst vor der emotionalen Gewalt familiärer Beziehungen
illustriert. Ähnlich drastisch erscheint der Vater als bedrückendes Zentrum der
Erinnerung, wenn im Gedicht „Vater“ formuliert wird: „Der Keller des Hauses
ist wach und schleicht sich langsam auf Zehenspitzen die knarrende Treppe
hinauf“ – hier evoziert Schild meisterhaft das Bild einer subtilen, doch
unerbittlichen Bedrohung. Besonders ist Schilds Umgang mit sprachlichen
Strukturen. Nicht allein individuelle oder familiäre Zerwürfnisse werden
behandelt, vielmehr eröffnet Schild grundlegende Reflexionen über das
Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. So hinterfragt das Gedicht „[emblematisch]“
pointiert die Möglichkeit sprachlicher Erfassung von Welt: „verwöhnt mich
ihr Nektar mit Schmerzen?“, eine Frage, die an Paul Celans poetologische
Zweifel erinnert und Schild in eine Traditionslinie sprachkritischer Dichter
stellt.