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Freitag, 11. April 2025

11.04.25 Rezension zu "Atemopale" von Patrick Schild bei den "Signaturen"

 
Eine Rezension zum 2024er Hanns-Meinke-Preisträger Patrick Schild von Matthias Schramm beim Signaturen-Magazin:

link:  Signaturen-Magazin: Patrick Schild: Atemopale

 
Matthias Schramm:

Patrick Schild: Atemopale. Gedichte. Berlin (
Verlag der 9 Reiche) 2024. 32 Seiten. 9,00 Euro. ISBN 978-3-948999-29-2


Zum Lyrik-Debüt von Patrick Schild


Patrick Schild, geboren 1994 in Daun / Eifel, hat sich in den letzten Jahren als eine Stimme der jungen deutschsprachigen Lyrik etabliert. Seine Gedichte erschienen zunächst in verschiedenen Anthologien und renommierten Literaturzeitschriften, es folgte 2021 der Förderpreis der Gruppe 48, anschließend wurde ihm 2022 der Klopstock-Preis für junge Lyrik verliehen. 2024 folgte mit dem Hanns-Meinke-Preis eine weitere Auszeichnung, die den Verlag der 9 Reiche veranlasste, seinen Debütband Atemopale in der Reihe der Lyrik-Edition NEUN zu veröffentlichen. Ende 2024 gewann er den 1. Preis für Lyrik beim Land-schreiberwettbewerb.

Schilds Debütband Atemopale entfaltet sich in behutsamen, aber auch radikalen Bewegungen, deren Wirkung aus dem Kontrast zwischen einer beinahe unerträglichen inneren Intensität und einer formalen Zurückhaltung entsteht.

Die in der Reihe der Lyrik-Edition NEUN erschienene Sammlung von Schild, herausgegeben von Steffen Marciniak, offenbart eine Sprache, die von Brüchen geprägt ist, die nicht lediglich ästhetisches Beiwerk sind, sondern vielmehr Ausdruck einer tiefen existenziellen Unruhe, welche den Leser behutsam, doch unnachgiebig in ein Territorium der Verletzlichkeit führt.

Schilds Atemopale zeugen sich in Bewegungen, deren Spannkraft aus einem Kontrast zwischen Intensität und formaler Zurückhaltung entsteht. Charakteristisch ist die frag-mentierte Sprache, die durch reduzierte Satzzeichen einen kontinuierlichen, oft atemlosen Sprachfluss erzeugt, welcher die Erfahrung des Atmens in Sprache übersetzt. Gedichte wie „[anhaften]“ zeigen, wie Sprache hier zu einer körperlichen Erfahrung wird – verlangsamend und bewusstseinsbildend.

Ein für mich nettes Detail findet sich im Gedicht „[maskulin]“, in welchem das lyrische Ich als „wort-gerinnsel“ beschrieben wird. Dieses scheinbar beiläufige Bild offenbart sich bei genauer Betrachtung als Metapher für die Stockungen und Verknotungen im kreativen Prozess des Schreibens selbst – ein Prozess, der ebenso körperlich wie geistig empfunden wird; aber auch in der Zerstreuung und in der Emphase des Duktus wiederzufinden ist.
  
Einer der markantesten Zyklen dieses Bandes, Narbenkartographie, etabliert bereits früh eine Grund-haltung des Lyrischen Ichs, die sich durch ein permanentes Changieren zwischen dem Körperlichen und dem Transzendenten, dem schmerzhaft Individuellen und dem Universellen auszeichnet. In „[wir]“ etwa spricht Schild von einer „mit leere angereicherten form eines bildes“, die gleichzeitig eine zärtliche und altersschwache Vergänglich-keit beschwört, und dabei deutlich macht, wie körperliche Fragilität und seelische Präsenz ineinander übergehen. Im Gedicht „[emblematisch]“ wird die Verbindung von physischer Verletzung und psychischer Erfahrung ebenfalls deutlich, wenn das lyrische Ich „ein knoten [...] vom blühen“ ist, „ein blutender wald“, womit die enge Verzahnung von Körper und Seele metaphorisch eindringlich hervorgehoben wird. Schilds Verse erscheinen somit als tastende Versuche, Identität durch Wunden und Vernarbungen zu lokalisieren und zeigen eindrücklich, wie stark die physische Präsenz und ihre Versehrtheit an die Seele gebunden sind.
Diese metaphorische nahezu religiöse Loslösung wird weitergeführt durch die Referenz zur „narziss-haus-schnecke“, „die „sich in sich selber antrifft“ – ein subtiles Bild für das Verschlossensein in sich selbst, für eine Rückkehr ins Innerste, die in ihrer Radikalität tödliche Züge annehmen kann. Schilds Sprache erzeugt hier bewusst eine fragile Balance zwischen Schönheit und Schrecken, zwischen sanfter Berührung und bitterer Konsequenz. Das „phonische zittern“ der „feiner, feinster fasern“ sowie die „leis erzitternden blumen“ evozieren eine zugleich intime und letztendlich beunruhigende Atmosphäre, die sich in der finalen, flüchtigen Geste auflöst: „schreiben wir unsere flüchtigen namen ins dunkelnde herz“ – ein Akt der Selbstauflösung, der auch als Selbstabschied gelesen werden kann, eine Art selbstzerstörerische Poesie.

Doch Schilds Lyrik erschöpft sich keineswegs in der Düsternis möglicher Interpretationen. Sie entfaltet vielmehr eine bemerkenswerte Fähigkeit, den Leser in einer Zwischenwelt zu verorten, in der Sinnlichkeit und Vergeistigung, die brutale Wirklichkeit des Körperlichen und die Zerbrechlichkeit des Geistes in ständiger Spannung stehen. Dies zeigt sich auch in anderen Gedichten des Bandes wie „[maskulin]“ oder „[fröstelnd]“, in denen das Motiv der Verletzlichkeit und der fragmentierten Identität erneut in schmerzhafter Klarheit hervortritt. Für mich auffällig ist die Technik, die Schild hier beweist. Er greift in seinem Sprachfluss wohl eher unbewusst auf erweiterte Reimregeln zurück; verlässt das Metrum, lässt es aber frei fließen, in seinem ganz eigenen Ton.

Kennzeichnend für Schilds Gedichte ist eine radikale Reduktion von Satzzeichen und die Verwendung von Einrückungen, die sich – gerade im ersten Zyklus – dem klassischen Sonett annähern. Die Gedichte wirken wie ein kontinuierlicher Atemzug, manchmal stockend, zuweilen beschleunigend, ganz als wollten sie die Erfahrung des Atmens in Sprache übersetzen. So entstehen Texte, die als körperliches Erleben wirken und eine verlangsamte, bewusstere Lesart erzwingen. Die Verse schaffen eine Textur, die körperlich erfahrbar wird, vergleichbar mit einem atmenden Organismus.

Die Verbindung von Atem und Opal deutet auf einen Kernaspekt: den Versuch, eine Sprache für das kaum Sagbare zu finden. Schild nutzt Erinnerungsfragmente und Schweigezonen, um seine Gedichte zu konstruieren, wodurch eine Spannung entsteht, die zwischen Präsenz und Abwesenheit pendelt.

Im ersten Teil des Bandes dominieren Fragmente und eine grammatische Auflösung, die ein ungefiltertes Bewusstseinsfeld erzeugen. Das Gedicht „[anhaften]“ ist dafür beispielhaft:

„ein gewebe aus luft
ein mandala
ein entwurf aus wenigen strichen
wie die bewegten u. noch grünen flanken der hügel —
als wir — zornige kinder — dem leben anhafteten“

Neben der offensichtlichen Lesart einer kindlichen Wut und existentieller Anspannung öffnet der Text subtil auch eine Lesart, die sich mit dem Thema Suizid auseinandersetzt. Die Metapher des Mandalas, das traditionell für Ganzheit und Heilung steht, wirkt hier ironisch gebrochen: Wenige Striche, ein kaum sichtbares Gewebe aus Luft – es könnte ein Hinweis auf die dünne Trennlinie zwischen Lebenswillen und Selbstaufgabe sein. Zunächst wirkt die Bildsprache eben wie ein Mandala, doch entfaltet sich beim tieferen Lesen eine Reflexion über Suizid. Schild spricht von einer „kurzen, schmerzlosen lösung des kummers“ und einer Existenz, die „zuinnerst gelöst u. frei schwebend“ ist, eine Metapher für den Wunsch nach Erlösung vom Schmerz. Die Balance zwischen Schönheit und Schrecken entfaltet eine intime und verstörende Wirkung, etwa in Gedichten im Zyklus Ruinenengel wie „Vater“:

„Der Keller des Hauses ist wach
und schleicht sich langsam auf Zehenspitzen
die knarrende Treppe hinauf.
Die knarrende Treppe der Biographie
an deren Ende das Zimmer der Erinnerung liegt.“

Schild beschreibt familiäre Traumata, die subtil, jedoch erschütternd wirken, wie etwa die „erschrockene Fledermaus“, die „in eine Nische floh“ oder die Bedrohlichkeit des Vaters, dessen Präsenz bedrückend gezeichnet ist. Gleichzeitig eröffnet Schild grundlegende Reflexionen über das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit.

Der kindliche Zorn kann ebenso als Ausdruck eines tieferliegenden Identitätsschmerzes interpretiert werden, einer existenziellen Unsicherheit, die das Ich zwischen Lebensdrang und Verzweiflung pendeln lässt. Schild spielt hier klug mit philosophischen Fragestellungen zur Existenz und Identität, ohne jemals ins bloße Gedankenspiel zu verfallen.

Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit einer dysfunktionalen Familienstruktur, deren Wunden in Gedichten wie „Engel“ offenliegen. Das lyrische Ich beschreibt etwa, wie „die Seele wie eine erschrockene Fledermaus in eine Nische floh“ – eine Metapher, die das Verschwinden des Selbst vor der emotionalen Gewalt familiärer Beziehungen illustriert. Ähnlich drastisch erscheint der Vater als bedrückendes Zentrum der Erinnerung, wenn im Gedicht „Vater“ formuliert wird: „Der Keller des Hauses ist wach und schleicht sich langsam auf Zehenspitzen die knarrende Treppe hinauf“ – hier evoziert Schild meisterhaft das Bild einer subtilen, doch unerbittlichen Bedrohung. Besonders ist Schilds Umgang mit sprachlichen Strukturen. Nicht allein individuelle oder familiäre Zerwürfnisse werden behandelt, vielmehr eröffnet Schild grundlegende Reflexionen über das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. So hinterfragt das Gedicht „[emblematisch]“ pointiert die Möglichkeit sprachlicher Erfassung von Welt: „verwöhnt mich ihr Nektar mit Schmerzen?“, eine Frage, die an Paul Celans poetologische Zweifel erinnert und Schild in eine Traditionslinie sprachkritischer Dichter stellt.



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