Diese metaphorische nahezu religiöse Loslösung wird
weitergeführt durch die Referenz zur „narziss-haus-schnecke“, „die
„sich in sich selber antrifft“ – ein subtiles Bild für das Verschlossensein
in sich selbst, für eine Rückkehr ins Innerste, die in ihrer Radikalität
tödliche Züge annehmen kann. Schilds Sprache erzeugt hier bewusst eine fragile
Balance zwischen Schönheit und Schrecken, zwischen sanfter Berührung und
bitterer Konsequenz. Das „phonische zittern“ der „feiner, feinster
fasern“ sowie die „leis erzitternden blumen“ evozieren eine zugleich
intime und letztendlich beunruhigende Atmosphäre, die sich in der finalen,
flüchtigen Geste auflöst: „schreiben wir unsere flüchtigen namen ins
dunkelnde herz“ – ein Akt der Selbstauflösung, der auch als Selbstabschied
gelesen werden kann, eine Art selbstzerstörerische Poesie.
Doch Schilds Lyrik erschöpft sich keineswegs in der
Düsternis möglicher Interpretationen. Sie entfaltet vielmehr eine
bemerkenswerte Fähigkeit, den Leser in einer Zwischenwelt zu verorten, in der
Sinnlichkeit und Vergeistigung, die brutale Wirklichkeit des Körperlichen und
die Zerbrechlichkeit des Geistes in ständiger Spannung stehen. Dies zeigt sich
auch in anderen Gedichten des Bandes wie „[maskulin]“ oder „[fröstelnd]“, in
denen das Motiv der Verletzlichkeit und der fragmentierten Identität erneut in
schmerzhafter Klarheit hervortritt. Für mich auffällig ist die Technik, die
Schild hier beweist. Er greift in seinem Sprachfluss wohl eher unbewusst auf
erweiterte Reimregeln zurück; verlässt das Metrum, lässt es aber frei fließen,
in seinem ganz eigenen Ton.
Kennzeichnend für Schilds Gedichte ist eine radikale
Reduktion von Satzzeichen und die Verwendung von Einrückungen, die sich –
gerade im ersten Zyklus – dem klassischen Sonett annähern. Die Gedichte wirken
wie ein kontinuierlicher Atemzug, manchmal stockend, zuweilen beschleunigend,
ganz als wollten sie die Erfahrung des Atmens in Sprache übersetzen. So
entstehen Texte, die als körperliches Erleben wirken und eine verlangsamte,
bewusstere Lesart erzwingen. Die Verse schaffen eine Textur, die körperlich erfahrbar
wird, vergleichbar mit einem atmenden Organismus.
Die Verbindung von Atem und Opal deutet auf einen
Kernaspekt: den Versuch, eine Sprache für das kaum Sagbare zu finden. Schild
nutzt Erinnerungsfragmente und Schweigezonen, um seine Gedichte zu
konstruieren, wodurch eine Spannung entsteht, die zwischen Präsenz und
Abwesenheit pendelt.
Im ersten Teil des Bandes dominieren Fragmente und eine
grammatische Auflösung, die ein ungefiltertes Bewusstseinsfeld erzeugen. Das
Gedicht „[anhaften]“ ist dafür beispielhaft:
„ein gewebe aus luft
ein mandala
ein entwurf aus wenigen
strichen
wie die bewegten u. noch
grünen flanken der hügel —
als wir — zornige kinder —
dem leben anhafteten“
Neben der offensichtlichen Lesart einer kindlichen Wut und
existentieller Anspannung öffnet der Text subtil auch eine Lesart, die sich mit
dem Thema Suizid auseinandersetzt. Die Metapher des Mandalas, das traditionell
für Ganzheit und Heilung steht, wirkt hier ironisch gebrochen: Wenige Striche,
ein kaum sichtbares Gewebe aus Luft – es könnte ein Hinweis auf die dünne
Trennlinie zwischen Lebenswillen und Selbstaufgabe sein. Zunächst wirkt
die Bildsprache eben wie ein Mandala, doch entfaltet sich beim tieferen Lesen
eine Reflexion über Suizid. Schild spricht von einer „kurzen, schmerzlosen
lösung des kummers“ und einer Existenz, die „zuinnerst gelöst u. frei
schwebend“ ist, eine Metapher für den Wunsch nach Erlösung vom Schmerz. Die
Balance zwischen Schönheit und Schrecken entfaltet eine intime und verstörende
Wirkung, etwa in Gedichten im Zyklus Ruinenengel wie „Vater“:
„Der Keller des Hauses ist
wach
und schleicht sich langsam
auf Zehenspitzen
die knarrende Treppe
hinauf.
Die knarrende Treppe der
Biographie
an deren Ende das Zimmer
der Erinnerung liegt.“
Schild beschreibt familiäre
Traumata, die subtil, jedoch erschütternd wirken, wie etwa die „erschrockene
Fledermaus“, die „in eine Nische floh“ oder die Bedrohlichkeit des
Vaters, dessen Präsenz bedrückend gezeichnet ist. Gleichzeitig eröffnet Schild
grundlegende Reflexionen über das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit.
Der kindliche Zorn kann ebenso als Ausdruck eines
tieferliegenden Identitätsschmerzes interpretiert werden, einer existenziellen
Unsicherheit, die das Ich zwischen Lebensdrang und Verzweiflung pendeln lässt.
Schild spielt hier klug mit philosophischen Fragestellungen zur Existenz und
Identität, ohne jemals ins bloße Gedankenspiel zu verfallen.
Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit einer
dysfunktionalen Familienstruktur, deren Wunden in Gedichten wie „Engel“
offenliegen. Das lyrische Ich beschreibt etwa, wie „die Seele wie eine
erschrockene Fledermaus in eine Nische floh“ – eine Metapher, die das
Verschwinden des Selbst vor der emotionalen Gewalt familiärer Beziehungen
illustriert. Ähnlich drastisch erscheint der Vater als bedrückendes Zentrum der
Erinnerung, wenn im Gedicht „Vater“ formuliert wird: „Der Keller des Hauses
ist wach und schleicht sich langsam auf Zehenspitzen die knarrende Treppe
hinauf“ – hier evoziert Schild meisterhaft das Bild einer subtilen, doch
unerbittlichen Bedrohung. Besonders ist Schilds Umgang mit sprachlichen
Strukturen. Nicht allein individuelle oder familiäre Zerwürfnisse werden
behandelt, vielmehr eröffnet Schild grundlegende Reflexionen über das
Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. So hinterfragt das Gedicht „[emblematisch]“
pointiert die Möglichkeit sprachlicher Erfassung von Welt: „verwöhnt mich
ihr Nektar mit Schmerzen?“, eine Frage, die an Paul Celans poetologische
Zweifel erinnert und Schild in eine Traditionslinie sprachkritischer Dichter
stellt.